Sonntag, 30. Mai 2010

Der Heilige Fridolin

In uralten Zeiten, als im Dunkeln die Geschichte webte ihr Kleid,
Die Menschen in tiefstem Heidensumpf trugen ihr Leid,
Ward ein gar frommer Mann von Gott berufen,
Werke zu tun, wie sie die Heil’gen schufen.
Mit fränkisch Namen, doch aus Irland, so die Tradition.
Wilde Alemannen zu bekehr’n, war die Mission.

Sein Landsmann Kolumban ging ihm bekehrend voran,
Im Kloster Luxeuil begann Fridolin die Laufbahn.
Auch wohnte er der Taufe des Frankenkönigs Chlodwig bei,
Der Weg zum Christussieg über die Heiden war damit frei.
Noch in Gallien mit viel Geschick und Enthusiasmus,
Drängte er zurück den lästerlichen-ketz’risch Arianasmus.

Des Fridolins großes Ideal im Bekehrungsfragen,
War der Heilige Hilarius, der es mochte wagen,
Im Disput alle Irrtümer auszuräumen,
Brachte er auch die Gegner zum wilden Schäumen.
So pilgerte der fromme Ire einstmals nach Poitiers gen Westen,
Um zu beten an des Hilarius sterblich’ Überresten.

Doch als er sah dessen Kirche dort in Trümmern liegen,
Gelang es ihm mit Gespür das Volk so weit zu kriegen,
Dass das Gotteshaus von neuem erstand in hellem Glanze,
Im Himmel droben spielten die Englein auf zum Tanze.
Der König schenkte ihm obendrein viel wertvoll Gut,
Fridolin selbst fasste nun noch weitaus größeren Mut.

Einst legte sich der fromme Glaubensmann unter einen Baum und schlief,
Da erschien ihm ein Gesicht Gottes, das seinem Wesen nach sehr tief.
Eine gar liebliche Insel umflossen von einem Strome schnell,
Dort sollt’ er hinziehen, war ihm geboten, das sah er ganz hell.
Aufgewacht, war ihm nun klar, was seine zukünftige Mission.
Denn alles andere, mit Gottvertrauen, das richte sich schon.

So kam er den Rhein entlang bis in die Berge, bis nach Chur,
Wo er den Bischof befragte und so von diesem erfuhr,
Dass die Insel, wie im Traume erschienen, läge im Alpenflusse.
Fridolin findet sie, gründet das Kloster und gönnt sich keine Muße.
Heute kennt man den Ort unter dem Namen Säckingen am Rhein,
Damit lasse ich die Geschichte aber noch mitnichten zu Ende sein.

Denn mehr noch erzählt man sich von dem berühmten Mann.
Wir wollen sehen, was dieser sonst noch alles kann.
Chlodwig der große Frankenkönig, schenkte ihm die Insel, die er gefunden,
Dies alles wurde offiziell und amtlich gemacht mit Siegeln und Urkunden.
Der Kanton Glarus wurde von Fridolin zu Christus gebracht,
Die Hilariuskirchen haben den Kantonsnahmen gemacht.

Auch ein Edelmann mit Namen Ursus schenkte Fridolin reich’ Besitz,
Doch als der Schenker ging von dieser Welt, trat dessen Bruder auf wie ein Blitz,
Bestritt die Schenkung, forderte alles für sich ein.
Da konnte Fridolin nun nicht mehr sanftmütig sein.
Es kam zum Streit vor dem Gerichte zu Rankweil,
Ausgegraben war das rechtliche Kriegsbeil.

Das Gericht konnte den Fall daselbst nicht entscheiden,
Es bräuchte Zeugen, das ließe sich nicht vermeiden.
Landolf der Habsüchtige, sah sich schon als Sieger,
Da hülfe doch nichts mehr dem frommen Gotteskrieger.
Doch dieser vertraut’ auf den Herrn und dessen Gerechtigkeit,
Macht’ sich nach Glarus auf und steht bald vor Ursus Grab bereit.

„Steh auf von den Toten, ich brauche dich noch!“
Gebot er dem Verschied’nen im Grabesloch.
Das Gerippe erhebt sich und folgt ihm zum Richterstuhl,
Auf dass Landolf sich ja nicht in seinem Triumphe suhl’.
Bleich wird dieser, erstarrt ist sein Angstgesicht.
Überzeugt hat des Toten Spruch das Gericht.

Landolf wurde nun ein innerlich Bekehrter und bat ihm zu verzeihn,
Ebenso setzte er nun den Fridolin als rechtmäßig’ Erben ein.
So blieb über Jahrhunderte ein Viertel des Glarus in Säckinger Besitz bestehen,
Bis sich loskaufte der Kanton, das konnte man dann 1395 sehen.
Bis heute sieht man zu Säckingen jährlich eine farbenprächtige Prozession,
Mit Fridolin im Silberschrein, der erhielt von Himmel und Erde so reichen Lohn.

Sonntag, 16. Mai 2010

Der Zelot

Die Schleusen des Himmels hatten sich geschlossen, der aufkommende warme Sommerwind zerriss die grauweißen Wolken und ließ die warmen Strahlen der Sonne wieder auf die Erde fallen. Schon trocknete der Asphalt und verdunstete mit dem ganz eigenen Geruch, der entsteht, wenn Feuchtigkeit in der warmen Luft des Sommers aufsteigt. Die Menschen, die vorher noch drohten in einander zu laufen und sich die Köpfe zu stoßen, da sie mit schnellen Schritten und gesenkten Blicken über den Bürgersteig huschten, um so schnell als möglich ein trockenes Dach über die Köpfe zu bekommen, liefen nun wieder gemächlicher an den bunten Schaufenstern und leuchtend rollenden Plakaten der Einkaufsstraße vorbei.

„Kehret um, bekennt eure Sünden und tut Buße!“, die Worte übertönten die Schritte und den Lärm des zunehmenden Spätnachmittagverkehrs. Der Mann, der sie sprach, stand auf einem umgedrehten Bierkasten. Seine dunklen, schütteren langen Haare hingen in nassen Strähnen herunter, seine Augen blitzten vor Feuereifer und seinen Lippen entsprang eine Stimme, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Er hatte sich durch den Regen nicht beirren lassen und stand wie ein wachhabender Soldat fest und verkündete sein Wort. Zu seinen Füßen hatte er ein Schild aufgestellt auf dem „Jesus liebt Euch!“ mit dicken Lettern geschrieben stand.

„Oh ihr Sünder, erkennt ihr nicht, dass nicht errettet wird, wer nicht die Brücke ins Heil betritt! Wer nicht umkehrt, wird verworfen und der Herr gewährt ihm keinen Aufschub! Verdammnis ohne Erleichterung soll dann sein! Da wird Heulen und Zähneknirschen kommen!“
„Halts Maul, alter Spinner!“, schrie ein junger Mann mit Ziegenbart und Baseballmütze.
„Fahr doch selbst zur Hölle!“, kam es von einem älteren Herrn, der einen Hund an der Leine führte. Eine Frau mit Stock und blauem Hut drohte gar dem Prediger eins überzuziehen, wenn er nicht sogleich verschwände.

„Der Weg ist schmal und nur wenige gelangen durch die enge Pforte ins Himmelreich!“, fuhr dieser jedoch unbeirrt fort, immer mehr vom Geschrei der Umherstehenden überschrieen. Doch gerade dieser Umstand stachelte seinen Eifer noch mehr an und ließ ihn zum finalen Schlag ausholen. „Ihr, die ihr Augen habt und nicht sehet, die ihr Ohren habt und nicht höret, werdet in die tiefste Hölle verbannt! Das lodernde Feuer der feurigsten aller Höllen ist für euch bereitet und eine Gnade wird euch nicht zuteil werden, bis in alle Ewigkeit sollt ihr Leid ertragen und euch wünschen zu sterben, doch ihr werdet nicht sterben können, denn ihr seid auferstanden, doch wurdet ihr nicht erlöst! Durch euren eigenen Unwillen habt ihr euch selbst gerichtet und so seid ihr zurecht dem Fürsten der Finsternis zu ewigen Qualen übergeben worden!“

Eine große Menschenmenge hatte sich wie Trauben an der Rebe um den Prediger versammelt und war inzwischen so laut geworden, dass von seinen Worten nichts mehr zu hören war. Nur noch seine bebenden Lippen und sein kirschroter Kopf zeugten von seiner Erregung und davon, dass er immer noch am sprechen war. Da flog plötzlich ein Apfel aus der Menge heraus und erwischte den Mann an seiner Brust, es folgte eine Tomate, die ihn am Kopf traf und dort zerbarst. Unter lauten Beschimpfungen und Erniedrigungen packte er seine wenigen Sachen und machte sich auf und davon. Er flüchtete in eine kleine Seitenstraße und verschwand bald im Eingang einer kleinen Pension, die von Durchreisenden mit kleinen Brieftaschen gerne benutzt wurde.

Der Speisesaal war bis auf den letzten Platz besetzt und das Geklimper von Besteck und Geschirr mischte sich mit dem lauten Stimmengewirr der versammelten Gäste. Nur ganz hinten, in der Ecke, direkt unter einem alten Kruzifix, saß ein Mann alleine an einem kleinen Tisch, den Kopf über tief seine Speise geneigt. Sein Blick würdigte keinen anderen, seine Miene alleine sicherte ihm seine Einsamkeit. Da trat ein Gast ein, ein Mann von etwa vierzig Jahren, groß von Statur, die den Sportsmann in ihm verriet. Nachdem er sich umgeblickt hatte und keinen freien Platz mehr finden konnte, drängt er sich zwischen den Reihen der Speisenden hindurch zum Tisch des Mannes in der Ecke. „Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze?“, frage er nun den dort sitzenden Sonderling. Dieser blickte langsam auf, ohne ein Anzeichen von einer Mimik erkennen zu lassen und nickte kaum merklich. Der athletische Mann setzte sich und bestellte bim Wirt das „Menü Nummer zwei“, die Rindsroulade mit Eierspätzle und Salat.

„Nun, gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Mein Name ist Heiser, Rudi Heiser“, sagte der Mann und reichte seinem Gegenüber die Hand. Dieser ließ zögernd das Besteck in den Teller gleiten und kaute seinen Bissen Fisch, den er noch im Mund hatte, zu Ende. „Toni“, sagte er und zog nach einem kurzen Händedruck sofort seine Hand wieder zurück. Er wollte sogleich mit dem essen fortfahren, doch Rudi versuchte nun eine Gespräch zu beginnen: „Was für eine schöne Stadt? Woher kommen sie?“. „Heute ist Freitag!“, sagte Toni und deutete damit auf die Rindsroulade, die gerade serviert wurde. „Allerdings! Für mich heißt das, dass ich das ganze Wochenende zur freien Verfügung habe. Ich möchte mir die Stadt ansehen.“

„Ich meine das Fleisch!“, entgegnete Toni und seine Stimme hatte nun deutlich an Schärfe gewonnen. „Was ist damit?“, fragte Rudi ganz unschuldig, denn er konnte sich nicht vorstellen, was Toni meinte. „Herrgott noch mal! Man isst am Freitag kein Fleisch!“
Da kam eine laute Stimme vom Nebentisch, die einem wohl genährten Herrn gehörte, der gerade seinen Maßkrug kraftvoll auf den hölzernen Tisch stellte: „Bei dem sind Hopfen und Malz verloren, lassen Sie sich von ihm nicht den Appetit verderben!“
Toni warf dem Dicken einen stechenden Blick zu, beherrschte sich aber etwas zu sagen.
„Sehen Sie, das ist unser Prediger. Den ganzen Tag über geht er der Welt auf die Nerven und selbst am Abend kann er nicht Ruhe halten und reibt es jedem unter die Nase, wie heilig er doch ist. “Noch immer beherrschte sich Toni, doch sein Gesicht zeigte eine zunehmende Zornesröte, die Spannung in ihm war nicht zu übersehen. Doch der Dicke fuhr munter fort, er hatte so recht seinen Spaß an der Provokation. „Diese Gestalten sterben nie aus, ich sag es Ihnen, wo man auch hinkommt. Ich weiß ein Lied davon zu singen, schließlich ist man ja ein Mann von Welt und hat so ziemlich alles gesehen, was es zu sehen gibt.“

`Darum steigst du auch in so einer Herberge wie dieser hier ab!´, dachte sich Rudi, lächelte freundlich und wandte sich dann wieder seinem Gegenüber zu. Dieser jedoch war inzwischen derart wütend geworden, dass er seine Zunge nicht mehr im Zaum halten konnte: „Ihr Sünder, ihr verlorenen Schafe, den Gerechten könnt ihr nicht einmal in Ruhe sein Mahl zu sich nehmen lassen. Oh Herr, was muss ich doch für eine schwere Last tragen?!“
So fuhr er noch mit einige alttestamentarischen Redewendungen fort, erntete jedoch nur Hohn und Spott dafür. Rudi hingegen, war jetzt richtig interessiert an dem Sonderling, der von allen nur verlacht wurde und wollte unbedingt näher mit ihm ins Gespräch kommen. Die außergewöhnliche Persönlichkeit hatte ihn seit jeher gereizt und so bat er den Prediger nach dem Essen noch zu bleiben. Dieser war zuerst unwillig und wollte früh in seiner Kammer verschwinden, um für den nächsten Tag gerüstet zu sein, sein Missionswerk konnte schließlich nicht von unausgeruhten Kräften betrieben werden, doch als Rudi das Gespräch auf die Religion und den Glauben brachte, da entbrannte er sogleich für die Konversation und willige ein noch zu bleiben.

Die anderen Gäste waren nach und nach aus dem Speisesaal verschwunden, so dass sie jetzt die einzigen Gäste waren, die noch zurück geblieben waren. Rudi lud Toni auf eine gute Flasche Wein ein und so begann das Gespräch, nachdem die beiden sich das Duwort angetragen hatten, intensiver zu werden. .„Du bist also ein Prediger?“, fing Rudi an. „Ja, man muss doch etwas tun! Schau dir doch die Welt an! Überall nur Verfall, Sitte und Moral bedeuten heute nichts mehr. Die Menschen laufen nur noch dem Geld hinterher, der Mammon wurde zum Götzen. Und doch sind die Herzen der Menschen auf der Suche, aber sie wissen nicht wonach sie eigentlich suchen.“ „Ich denke nach dem Glück!“, warf Rudi ein. „Ja sicher nach dem Glück, aber damit gehen sie Satan leicht auf den Leim. Glück heißt für sie Sinneslust, Befriedigung der niedersten Begierden. Sie merken es nicht einmal. Das Fleisch ist ihnen wichtiger als die Seele geworden.“„Ich glaube, du hast nicht Unrecht, doch glaubst du deine Art zu sprechen ändert irgendetwas daran?“„Was soll man denn sonst tun? Ich habe mich selbst jahrelang nicht um solche Dinge gekümmert, ich dachte die Welt sei eben wie sie ist, man könne eben nichts tun. Dann ergriff mich eines Tages die Stimme des Herrn und mir war klar, dass ich eine Mission im Leben hatte, dass ich zu einem bestimmten Zweck geboren wurden und dass ich diesen Zweck auch erfüllen musste.“„Und du glaubst dieser Zweck liegt darin, Menschen zu belehren?“

„Natürlich. Sie müssen einsehen, dass sie Sünder sind! Ohne Eingeständnis der Sünde, kein Heil, darin war Jesus ganz klar! Da gibt es keinen Kompromiss. Aber die Menschen wollen davon nichts wissen, ihr Ego regiert ihr Leben, sie glauben alles selbst machen zu können, meinen es gäbe keine höhere Instanz. So ist es kein Wunder, dass es so aussieht, als ob Unrecht Gut eben doch gedeihe, wenn man nur schlau sei und sich nicht erwischen ließe, dann käme man auch davon. Ohne höchste Instanz wäre dem ja wirklich so.“ „Menschen wollen sich nicht beschimpfen lassen, zudem verstehen die meisten nicht, was unter Sünde zu verstehen ist. Man glaubt im allgemeinen Sünde sie sei eine Art von Verbrechen. Stell dir vor, jemand kommt auf dich zu und sagt dir, dass du ein Verbrecher bist. Wie würdest du darauf reagieren?“

Toni schlug kurz die Augen nieder, kratzte sich hinter dem Ohr und blickte dann Rudi wieder an. „So habe ich die Sache noch nie betrachtet. “Rudi nahm genüsslich einen Schluck aus seinem Glas, er schien sich zu freuen, dass er Toni für einen kurzen Moment lang nachdenklich gemacht hatte, denn bisher sprach er wie ein Wasserfall ohne Unterlass und in seiner Stimme lag eine Kompromisslosigkeit, die es sehr schwer machte nicht bald in Streit mit ihm zu geraten, wenn man nicht völlig mit ihm übereinstimmte.
„Ja aber, wie soll ich die Sünde dann erklären?“, fragte nun Toni.
„Erkläre, was sie wirklich ist. Der Graben, der den Menschen von Gott trennt, kommt das Wort ja selbst vom Germanischen „Sund“, dem Graben. Dass dieser Graben existiert, das werden ohnehin die wenigsten bestreiten, die sich einmal damit befasst haben.“
„Ja eben, aber wie bekomme ich die Menschen dazu, dass sie sich überhaupt dem Glauben zuwenden?“ „Der Glaube kann nicht von einem Menschen im anderen bewirkt werden. Niemand kann glaubend gemacht werden. Hab einfach vertrauen. Gott beruft den Menschen schon, nur er kann es bewirken, dass einer glauben kann. Glauben ist ein Geschenk, vergiss das nicht.“

„Wozu predigte ich dann überhaupt? es ist doch mein Auftrag!“„Vielleicht ist er das, vielleicht aber auch nicht. Was bist du eigentlich von Beruf?“ Toni war etwas verwirrt, dass nun das Gespräch eine andere Richtung nehmen sollte, doch er ging vorerst darauf ein, unter der Voraussetzung, dass er das Thema wieder auf den Glauben zurückbringen konnte.
„Ich? Ich war Anwalt.“ „Ein schöner Beruf. Aber warum war?“ „Ich habe mich ganz der Mission verschrieben. Und ich glaube, dass nirgendwo die Mission mehr gebraucht wird als hier in Europa. Ich konnte einfach keine Verbindung zwischen meinem Beruf und meiner Berufung herstellen. Als ich meine Berufung durch Gott wahrnahm, da war es für mich klar, dass ich einen neuen Weg einschlagen musste, ich konnte unmöglich so weiter machen wie bisher.“ „Was war dein Spezialgebiet als Anwalt?“ „Ich war Partner einer gut gehenden Kanzlei in Basel. Ich war für Gesellschaftsrecht zuständig.“

„Warst du erfolgreich?“, Rudi bereute schon diese Frage gestellt zu haben, denn sie schien ihm jetzt nicht nur zu direkt zu sein, sondern er sah auch den nachdenklichen Gesichtsausdruck seines Gegenübers. Doch dieser antwortete ganz offen: „Oh ja, sehr, allzu sehr sogar. Ich hatte Klienten, die zu den reichsten Menschen der Welt gehörten. Verstehst du? Da ging es nicht um Millionen, sondern um Milliarden!“ „Dann hast du sicher einiges gesehen?“ „Natürlich. Und das war dann auch der Grund, warum ich nicht mehr als Anwalt arbeiten konnte. Ich wachte eines Morgens auf, sah in den Spiegel und was ich da sah, das konnte ich nicht mehr als mich selbst erkennen. Mir wurde schlecht! Ich fragte mich, was aus meinen Idealen geworden war. Hatte ich mich tatsächlich in das verwandelt, was ich nie werden wollte? Ein geldgieriger Hai, der keine Skrupel mehr kannte! Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass es genau so war.“
Jetzt setzte Toni ab und seine Augen wurden etwas feucht. Er nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas und leerte es damit. Rudi schenkte ihm noch einmal von dem herrlichen Rotwein nach.
„Und die Menschen, zu denen du jetzt sprichst, wie kommen die dir vor?“
Toni war erstaunt über diese Frage. „Nun, sie sind mir zu „verweltlicht“, ich sehe in ihnen vieles von dem, was ich selbst verabscheue, ja was ich auf das tiefste verdamme."
„Du meinst, so, wie du früher warst?“ Toni wich etwas zurück, diese Worte trafen ihn wie unvorbereitete Pfeile. Es war zu spät noch einen Schutzschild dagegen anzulegen. Er wurde ganz still und gab dann kleinlaut zu: „Da hast du nicht Unrecht.“ Leicht schüttelte er den Kopf vor sich hin und blickte dabei auf den massiven Eichentisch, auf dem er seine Arme aufgestützt hatte. „Ja, du hast Recht, so ist es, ich sehe in der Welt das, was ich nicht sehen will, ich sehe mich selbst, wie ich vor meiner Verwandlung, vor meiner Wiedergeburt im Geiste war.“

Rudi legte ihm die Hand auf die Schulter: „Wir alle stehen einmal vor der Welt und erkennen, dass wir darin uns selbst erblicken können. Und das erschreckt uns dann, weil wir sehen, dass der Kampf, den wir im Äußeren führen seinen Ursprung im Inneren hat.“ Die beiden schwiegen für ein paar Augenblicke, dann begann Toni: „Bist du Psychologe oder noch schlimmer, ein Psychiater?“ „Ich muss dich enttäuschen, ich bin nur ein Mensch, ein ganz einfacher Mensch, mein Freund.“ „Weißt du, was ich tue, das tue ich im Grunde aus Liebe zu den Menschen“, setzte Toni fort. „Ich weiß, aber Liebe ist mehr als nur Gutes für andere zu wollen. Wenn wir Gutes tun wollen, dann müssen wir es auch so tun, dass dem anderen etwas gegeben wird, was er auch gebrauchen kann. Nicht umsonst heißt es ja, dass das Gegenteil von Gut nicht Böse sei sondern `gut gemeint´“ „Du hast Recht, meine Erfolge waren bisher auch nicht allzu groß. Ein paar Leute konnte ich bekehren, einer arbeitet nun mit mir zusammen, er ist gerade in Hamburg und Bremen unterwegs, um dort Leute zu gewinnen.“ „Das beste Zeugnis für den Glauben ist das Leben des Gläubigen selbst.“ „Ja, aber wer sieht es denn?“ „Das sieht man schon, hab einfach Vertrauen. Die Menschen sind verunsichert, sie haben viel zu lange von anderen gehört, wie sie leben sollen. Es ist verständlich, dass sich das heute Menschen nicht mehr gefallen lassen wollen. Und damit haben sie völlig Recht. Freiheit ist doch das, was dem Menschen gebührt. Dass dabei viele Menschen sich irren und falsche Wege gehen, dass die Freiheit nicht in der Willenserfüllung, sondern in der Erfüllung der eigenen Mission liegt, das zu verstehen, ist nicht leicht. Frei wird der Mensch ja gerade dadurch, dass er sich unterordnet, aber nicht einem Menschen, einer Idee, eine Ideologie, nein nur dem, was in ihm selbst von Gott angelegt wurde. Wenn das den Menschen klar wird, dann können sie auch wahre Freiheit finden, aber das erreicht man nicht dadurch, dass man indoktriniert oder Befehle erteilt. Das sind die alten Methoden, die die Menschen heute zu Recht ablehnen. Das Christentum ist die Botschaft der Liebe, aber Liebe heißt Dinge auch sein lassen zu können, nicht einzugreifen, selbst wenn einer fehl geht." „Du meinst, ich soll mein Vorgehen ändern?“, kam es von Toni. „Das weiß ich nicht zu sagen, die Antwort darauf liegt in dir selbst. Mag sein, dass dem so ist. Aber vergiss niemals die Liebe zu den Mitmenschen. Deine Predigten haben Feuer und du hast eine flinke Zunge und weiß aufzutreten, doch verhärtest du die Herzen der anderen durch die Art, wie du dies machst. Andere Zeiten erfordern anderes Vorgehen. Die Botschaft bleibt die gleiche, doch das Gefäß indem das `Wasser des Lebens´ gereicht wird ändert sich müssen.“ Toni war ganz still geworden. Je länger das Gespräch gedauert hatte, desto weniger hatte er und desto mehr hatte Rudi gesprochen. Etwas, das Toni nicht gewohnt war, weder in seinem alten Beruf als Anwalt noch jetzt in seiner neuen Profession als Prediger.

Der Abend war spät geworden und es war bereits kurz vor Mitternacht, als Rudi und Toni sich trennten und in ihren Zimmern verschwanden. In dieser Nacht schlief Toni äußerst unruhig und wachte alle zwei Stunden wieder auf. Das Gespräch des Abends ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, die Gedanken rumorten in seinem Gehirn und trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Am Morgen, als die ersten Strahlen der hellen Morgensonne durch die Gardinen ins Zimmer fielen, stand Toni auf und begab sich nach der Toilette in den Speisesaal im Parterre. Es war noch kein Mensch anwesend, da es noch sehr früh war und das Personal gerade erst, frische Semmeln, Kaffee und Milch aufzutischen. Da trat der Wirt und der dicke Herr von gestern Abend in den Raum und Toni grüßte sie sehr freundlich. Dieser leibgewaltige Herr setzte sich sogar zu Toni an den Tisch und sie unterhielten sich zum ersten Mal hervorragend miteinander. Das Gespräch kam nie auf die heiklen Themen des Vorabends. Etwas zögerlich fragte Toni den Herrn, der sich als Alfons G. aus Gütersloh vorstellte, ob er etwas über Rudi Heiser wisse, der gestern mit ihm am Tisch gesessen hatte. Da wunderte sich Alfons, da er keinen Mann an seinem Tisch bemerkt habe. Zuerst glaubte Toni, er wolle einen üblen Scherz mit ihm treiben, unterließ es dann jedoch weiter darüber zu sprechen.

Als die beiden das Frühstück zu sich genommen hatten, stand Toni auf und trat auf den Flur hinaus. Dort begegnete ihm der Wirt und er fragte diesen, ob er wisse, wie lange Herr Heiser noch in der Stadt weilen würde. Der Wirt entgegnete, dass es keinen Herrn Heiser als Gast in seiner Pension gäbe. Als Toni ihm die Zimmernummer nannte, da versicherte ihm der Wirt, dass dieses Zimmer leer stünde und heute Nacht unmöglich ein Gast dort übernachtet hätte. Auf Drängen von Toni gingen die beiden nach oben und schlossen die Tür zu dem besagten Zimmer auf. Doch zur großen Überraschung Tonis war das Bett unbenutzt, auch die Nasszelle wies keine Spuren eines Gebrauchs auf. Er glaubte verrückt zu werden und schlich sich etwas beschämt am Wirten vorbei, der ihn mitleidig ansah. Noch am selben Tag verließ Toni die Pension und die Stadt.

Einige Monate später sah man Toni als Anwalt für Menschenrechte in seiner schweizerischen Heimat arbeiten. Er hatte endlich seine wahre Berufung gefunden. Zwar predigte er immer noch gerne, seine Eloquenz kam ihm bei seinem Beruf ja sehr entgegen, doch zog er nun die Tat dem bloßen Wort vor. Er wurde zum moralischen Vorbild für viele Menschen und genoss bald großes Ansehen bei sämtlichen Kreisen der Gesellschaft. Wann immer es einer hören wollte, so offenbarte er das Fundament seiner Stärke, den lebendigen Glauben in seinem Leben, doch rieb es dies, anders als es früher seine Gewohnheit war, niemandem mehr unter die Nase. Von dem geheimnisvollen Rudi Heiser jedoch, hat er niemals mehr etwas gehört.

Samstag, 15. Mai 2010

Gedichte II

Bestehen in der Zeit

„Für die Rechtschaffenheit gäb’ ich mein Leben hin!“,
Sprach mancher, der hatte sehr Edles im Sinn.
„Den Schwachen muss man schützen, dem Unrecht gebe man nicht nach!“,
Das hörte ich selbst, wie empört ein anderer solches sprach.

Doch, die Worte sind sehr leicht gesprochen,
Leicht werden sie im Ernstfall gebrochen.
Was leicht über die Lippe kommt, das wenig zählt,
Doch lauten Applaus der Welt, man leicht so erhält.

Wer gäbe schon tödlich bedroht das Leben auf?
Hält die Tugend aufrecht im stürmisch’ Lebenslauf?
Nur selten ist ein Geist zu finden,
Der das höchste Ideal kann binden.

Gut und Böse sind dem Empfinden unabdingbar zueigen,
Solches mag sogar der Verworfenste noch manches Mal zeigen.
Denn, kommt es auch über den Inhalt zu Streitigkeit,
Im Prinzip selbst herrscht doch allmenschliche Einigkeit.

Wer hier Bedeutung hat, wahrhaft groß auf Erden ist,
Den mag die Zeit selbst erwählen, man ihn nicht vergisst.
Der Prophet zählt ja nichts im eig’nen Lande,
Den schlug man oft und zerriss sein Gewande.

Der wahrhaft Große bleibt bestehen vor der Zeit,
Der, der sich der Tugendhaftigkeit hat geweiht.
So war’s seit Sokrates und so ist’s auch heute.
Sag, was werden über dich sprechen die Leute?


Der Götze Natur

Gar mancher liebt die rote Rose,
Erbaulich ist’s den frischen grünen Wald zu sehen.
Auch steht vor mir in schönster Pose,
Des Mai’s duftender Fliederstrauch im Winde wehen’.

So ist einer sehr leicht geneigt zu glauben,
Die Natur selbst sei von Geisterkraft reichlich durchflutet.
Vermessen ist das sich herauszuklauben,
Denn nur der, der alles schafft, tat’s während ihr gut ruhtet.


Der Mensch und das Schicksal

Der reiche Ökonom rühmt sich selbst zum Besten,
Die junge Mutter frohlockt Hei!,
Die Politik freut guten Wahlausgang,
War sehr erfolgreich doch der Stimmenfang.
Und sicher sagt man stolz dabei:
„Ich allein tat dies und füllte meine Kästen!“

Doch fällt die Börse, gehen die Geschäfte schlecht,
Verliert da einer Gesundheit, Gut und Ruhm,
So ist das Urteil anders, als bei jenem.
Zur Einsicht mag sich einer nicht bequemen.
Man sieht’s wo anders und spricht entschieden nun:
„Ich Armer, sieh! Das Schicksal tut mir gar nicht Recht!“


Scharlatane

Einstmals traf man sie auf Bretterbühnen,
Auf dem Jahrmarkt und ebenso zur Kirchweih.
Quakend trat der Salber lauthals auf,
Dass einer die Wundermittel kauf’.
Von weitem vernahm man das Schnattergeschrei,
Dessen, der sich dreist konnte erkühnen.

Da dachte man: `Das gehört in unaugeklärte Zeiten!´
Weit gefehlt! Auch heute will man uns noch die Augen weiten.
Der Wissenschaft dankt man nicht ihr Gutes, das sie tat,
Magie und Voodoo säen immer noch ihre Saat.
Wie sehr man es auch beklagt, wie man sieht verschwinden sie nie,
Die Quacksalberei, Kurpfuscherei und Scharlatanerie!


Narrentum

Die Fabel* hat’s gar gut beschrieben,
Der Narr, der es zu wild getrieben,
Warf Steine einem Weisen nach.
Dieser gab ihm noch Geld und sprach:
„Wirf’s dem Reichen nach, der gibt dir noch viel mehr!“
Der Narr tat’s und lag bald in Ketten, die schwer.

Heute sperrt man ihn nicht mehr ein, den Narr’,
Selbst, wenn er darstellt gar große Gefahr.
Gestreichelt wird er noch und schwer verzärtelt auch.
Gar unfair scheint er, der alte bewährte Brauch.
Dass der andre muss darunter leiden,
Solches könne man wohl nicht vermeiden.

* „Ein Narr und ein Weiser“ von Jean de La Fontaine


Die Krittler

`Im Anfang war das Wort´,
So steht’s geschrieben dort,
Wo heute liest kaum einer nach.
Klug nur im Fleisch man Manches sprach.

Viel besser wäre es da einmal zu ruh’n,
Dem eitlen Vergnügen Fesseln antun.
Unbefangen und mit reichlich Demut,
Tut sich auf so manches kostbare Gut.


Internet

Viel zählt heute die Information,
Wer könnte darauf verzichten schon?
Doch der Menge haben wir im Überfluss,
Allein die Auswahl bereitet meist Verdruss.

Das Netz, das ist groß, schwer ist’s Gutes darin zu finden,
Allzu viel Zeit des Menschen, mag es inzwischen binden.
Drum sagte ein wahrer Kenner auch, ganz schön und frei,
Ein Misthaufen mit wenigen Perlen drin, es sei.


Relativ und absolut

Lang galt nur das Absolut für wahr,
Das schien bereits dem Grunde nach ganz klar.
Dann trat auf die stolze Relativität,
Und forderte, da sie vormals ward verschmäht.

Sie ward auf den Thron gesetzt, man huldigte ihr,
Selbst Raum und Zeit nahm sie sich zur königlich’ Zier.
Der Triumph schien unausweichlich,
Ihr Anhang wuchs überreichlich.

Doch, wie es kommt im Sturme der Geschichte,
Als Bezüglichkeit wurd’ zum Ungerichte,
Als sie gleichgesetzt mit Beliebigkeit,
Da dämmerte es langsam der Menschheit.

Und siehe da, wie aus verwachsenem Grabe stieg herauf,
Das Unwandelbare, gestützt auf des alten Stockes Knauf.
Doch fegt man weg den Staub von Tausend Jahren,
Strahlt es prachtvoller, als das Gold des Zaren.


Die Mitte

Fern aller Schmeichelei und Ruhmessucht,
Ohn’ Fasten und exzessiver Selbstzucht,
Findet man zwischen Sinneslust und Askese doch,
Das rechte Maß, das befreit allein von jedem Joch.


Sorten von Menschen

Drei Sorten von Leuten da sind auf der Welt,
Man sieht es, sofern man die Augen aufhält.
Da gibt’s den einen, der immer fleißig schafft,
Und so bei Klugheit auch eine Menge rafft.

Der zweite, verlegt sich ganz auf das Denken,
Für ihn muss sich alles auf den Geist lenken.
Endlich gibt es noch die letzte Art, ganz schlicht,
Die lebt dahin und rührt keinen Finger nicht.