Sonntag, 25. November 2012

Das Heidenvolk vom Kummenberg

Zur Zeit, als die Römer noch im Lande Vorarlberg waren und durch das Rheintal eine der großen Verbindungstraßen von Nord nach Süd führte, war der mitten im großen Tal liegende Kummenberg noch zweimal so groß als wie heute. Auch war seine Form damals noch eine andere. Während er heute auf der Südseite stetig ansteigt und dann auf der Nordseite in einer steilen Felsenwand abrupt abstürzt, als ob er „abgesägt“ worden wäre, war es einstmals noch so, dass er eine gleichmäßige Erhebung bildete, die von allen Seiten genau gleich abgerundet dalag. Doch dann veränderte sich alles. Und das kam so.

In den Zeiten der Völkerwanderung, als viel Volk in ganz Europa unterwegs war und den ganzen Kontinent umgestaltete, machte sich ein Barbarenstamm aus dem Norden auf dem schönen Kummenberg sesshaft. Die einheimische Bevölkerung war damals von diesen Wilden arg geplagt worden und flehte zum Himmel, der Allmächtige möchte sich ihrer doch erbarmen und die Plage von ihnen nehmen. Schon oft war es vorgekommen, dass ein frommer Gottesmann sich aufgemacht hatte das wilde Volk auf dem Berg zu bitten ihr schändliches Treiben zu unterlassen; doch waren all diese Anstrengungen ohne Erfolg geblieben. Diese Heiden machten sich dann einen Riesenspaß aus den frommen Christen, zogen ihnen die Kleider aus und schickten sie völlig nackt unter wüsten Beschimpfungen und derben Scherzen zu den ihrigen hinunter in die Ebene. An eine Bekehrung zum christlichen Glauben war natürlich nicht einmal zu denken.

Nachdem die „Kummenberger“ wieder einmal einen wüsten Raubzug durch die Umgebung unternommen hatten und neben den Vorräten und Wertgegenständen aller Art auch die Hälfte der Frauen geraubt hatten, war die Not der braven Rheintaler gar zu groß geworden. Es war am Karfreitag gewesen und die Christen fasteten und gedachten ihres Heilands. Da waren die Barbaren gekommen, hatten alles an sich gerissen, was nicht niet- und nagelfest war, hatten Kreuze zerbrochen, Kirchen und Kapellen entweiht und darüber hinaus allerhand Schändliches mit den Bewohnern getrieben. Gar um dem Übel die Krone aufzusetzen, zwangen sie die Bauern an diesem Hochfest der Christenheit Fleisch zu essen. Wer sich weigerte wurde kurzerhand einen Kopf kürzer gemacht. Als nun der Abend hereinbrach und die Rheintaler Bevölkerung voller Tränen und Schmerzensschreie war, feierte der wilde Haufen auf dem Kummenberg seine verderbten Orgien in einem eigens dazu errichteten Heidentempel. Feuer wurden gemacht und überhaupt sollen sie es auf das Übelste getrieben haben. Da zogen von der Schweizer Seite her schwefelgelbe und schwarze Wolken auf, feurige Blitze zuckten und fuhren in wildem Gezische auf die Erde nieder. Als das Gewitter den Kummenberg erreicht hatte, ging das titanische Schauspiel erst richtig los. Ein Blitz, so gewaltig, wie es Menschen zu keiner Zeit noch gesehen hatten, sauste hernieder und spaltete den Kummenberg mitten entzwei. Die nördliche Hälfte, auf der sich der Heidentempel und alle wilden Barbaren befanden, versank mit wildem Getöse im Erdboden, der sich auftat, um die Sünderbrut aufzunehmen und nie wieder herzugeben. Mit Haut und Haaren sind die Heiden allesamt in die Hölle hinab gefahren. So schnell, als das Gewitter aufgezogen war, verschwand es auch wieder und machte einer klaren und recht lauen Nacht Platz. Am nächsten Morgen sahen die Bewohner des Tales, dass der Kummenberg nur noch halb so groß war, wie am Abend zuvor. Und seither ziert eine steile Felswand die Mäder und Altach zugewandte Seite des Berges.